Onno Viets und der weiße Hirsch. Roman.
Frank Schulz, Galiani-Berlin 2016
Ganz großes Tischtennis
Was hat mich "Das Schiff der baumelnden Seelen" geärgert und genervt! Was war das für eine seltsam vergurkte, unschulzige, unvietsige Geschichte, was überhaupt für ein blöder Hintergrund - und sowieso: Onno Viets auf einem Kreuzfahrtschiff, so ein Quatsch. Und dann auch noch diese lahme Handlung, diese beschämende Nabelschau, das Ganze ein einziges Pfuibäh. Man meinte fast, einen Exorzisten in Richtung Schulz losschicken zu müssen. Dazu eine Online-Petition "Rettet Frank!", mit Shitstorm und allem Pipapo.
Und jetzt: Die Erlösung. Alles ist gut. Schulz kann es ja doch noch. Und immer besser.
"Onno Viets und der weiße Hirsch" spielt in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten OV-Roman, in den Jahren 2008 und 2009, aber das Buch erzählt glücklicherweise auch davon, wie die Geschichte um Onno, Edda, Den Schönen Raimund, EP und Christopher "Stoffel" Dannewitz enden wird.
Ein Jahr nach den Ereignissen mit dem und um den Kiez-Co-Oligarchen Tibor "Händchen" Tetropov (erzählt in "Onno Viets und der Irre vom Kiez") ist Onno nach Finkloch gezogen, von Hamburg exakt achtundachtzig Minuten entfernt, ganz egal, wann oder wie man fährt. Dort leben Eddas Eltern, der ehemalige Amtsförster Henry Baensch und seine Frau Betty. Auf dem Land, so Onnos Idee, könne er die PTBS bekämpfen, jene posttraumatische Belastungsstörung, die "Händchen" Tetropov bei ihm verursacht hat, allnächtlich manifestiert in Form von Albträumen übelster Sorte und Machart.
Anfangs scheint es auch zu funktionieren, oder es zeichnet sich ein Funktionieren ab. Die liebenswürdigen, betagten Schwiegereltern tun ihr Möglichstes, um dem originellen Tochtergatten zu helfen, der im ländlichen Nirwana vor allem zwei seiner drei Superkräfte - das Sitzen- und das Zuhörenkönnen - trefflich anbringen kann, bevorzugt des Nachts im Hochstand am Mondwald, wo er gemeinsam mit dem jagenden Schwiegervater auf Wild lauern kann, das sich von diesem abknallen lässt.
Doch das Idyll hält nicht lange. Edda findet immer seltener Zeit, um nach Finkloch zu kommen, während sich dort eine Auseinandersetzung zwischen der eingeborenen Dorfbevölkerung und einer zugezogenen Fernseh-Esoterikerin abzeichnet. Onno sieht Phantome. Außerdem werden die lauernden Hochständler gleich zweimal von seltsamen Gemeinschaftserlebnissen heimgesucht, obskuren Panikattacken mitten in der Nacht. Es eskaliert, als dort jemand mit dem Laser-Zielfernrohr Onno anpeilt und schließlich auch die dazugehörige Waffe abfeuert.Der dritte Onno-Viets-Roman ist eine hochhausgroße Buttercremetorte mit Sahnehäubchen und Schokoladenüberzug. Der Meister erzählt eine verstrickte, spannende, tragikomische Familien- und Dorfgeschichte, fährt ein großartig portraitiertes, wundervoll ausgedachtes Personal auf - und findet in jeder Hinsicht zu alter Form zurück. Sprachlich ohnehin außer Konkurrenz, bietet der vermutlich letzte Roman der Viets-Trilogie Sätze zum Niederknien, feinste Detailbetrachtungen, bombige Dialoge, höchstschulzige Neologismen und insgesamt ein Kompositum, gegen das alle Traktate der Literaturpreisnominierten der letzten zwei Dekaden wie tapsige Schreibanfänge wirken würden, gäbe man sich der von Anfang an vergeblichen Vergleichsarbeit hin. Ganz großes Tischtennis - in Noppensocken, selbstverständlich.
Tom Liehrs aktuelle Veröffentlichung:
LANDEIER.
ROMAN.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Oktober 2016
ISBN: 978-3499290428
EUR 14,99
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